Peinliche Versuche der Polizei Protest gegen SOG-MV zu verhindern

Hallo Hansafans,

auch nach der Sommerpause und dem Beginn der neuen Drittligasaison bleibt das Thema „SOG-MV (Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern)“ aktuell. Dies aber nicht etwa, weil es im Schweriner Landtag momentan Schlag auf Schlag geht oder sich endlich besonnen wurde, dass die geplanten Änderungen im Gesetz weder sinnvoll, noch notwendig sind. In der Tat scheint es momentan eher so, dass der Protest dagegen, an dem sich neben Hansafans auch viele andere teilweise sehr unterschiedliche zivilgesellschaftliche Akteure aus unserem schönen Bundesland beteiligen erste Wirkung gezeigt hat und der Gesetzgebungsprozess doch nicht wie zunächst befürchtet im Schnelldurchlauf von Statten gehen wird. Eine Anhörung von verschiedenen Experten und Sachverständigen zum Thema im Innenausschuss des Landtags wurde so nun aufgeteilt auf zwei Termine, den 22. August sowie den 13. September. Diese sind im Übrigen öffentlich, weshalb jeder Interessierte dazu aufgerufen sein sollte, sich mitreinzusetzen und zuzuhören wenn irgendmöglich. Den Landtag selbst wird das Gesetz Stand jetzt wohl erst im Januar erreichen, wie es heißt.

Wenn die Polizei den Computer hackt

Gegen die geplante Verschärfung des Polizeigesetzes in MV haben Menschen in Schwerin demonstriert. Foto: Cornelius Kettler

Massiver Protest gegen neues Polizeigesetz in MV: Mehr als 60 Organisationen warnen vor einem Überwachungsstaat / Öffentlicher Druck sorgt für Verschiebung des Themas im Landtag

Rostock. Die Polizei spioniert ohne Richter-Beschluss auf dem heimischen Computer, nimmt Personen ins Visier, die einen möglichen Verdächtigen nur kennen, oder nutzt ungehemmt Videomaterial in Stadien und auf Plätzen. Dieses Horror-Szenario zeichnet das Bündnis „Sogenannte Sicherheit“ und ruft zum Protest gegen das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) des Landes auf. Mehr als 60 Vereine und Organisationen, dazu Dutzende Privatpersonen haben sich bisher darin zusammengeschlossen. Vorwurf: Auch Unschuldige könnten bei Ermittlungen ins Visier des Staates gelangen, Staatstrojaner im Internet außer Kontrolle geraten. Das Bündnis warnt vor „Machtmissbrauch und Willkür“. Am Sonntag ist eine Groß-Demo in Rostock geplant.

Vor allem gegen „Online-Spionage“ des Staates spricht sich ein breites Bündnis mit interessanter Zusammensetzung aus. Neben linken Organisationen, Jusos, Grünen oder Hacker-Gruppen sind auch Fans des FC Hansa Rostock vertreten. Aus Greifswald unterstützt der Arbeitskreis kritischer Juristen der Uni den Protest, aus Neubrandenburg die Hochschule, wenn auch nicht über die Hochschulleitung, wie es von dort heißt. Es gehe um Protest gegen geplante „massive Eingriffe in die Privatsphäre“, sagt Michael Milz, Sprecher des Bündnisses „Sogenannte Sicherheit“. Mit dem neuen Gesetz könnte die Polizei in MV Online-Durchsuchungen durchführen und Schwachstellen auf Kosten der Bürger ausnutzen – obwohl diese keine Straftat begangen haben. Es sei kaum vorstellbar, was Parteien, die eine schärfere Sicherheitspolitik fordern, mit solchen Regeln anstellen könnten. Milz zieht einen Vergleich zu China, wo Menschen ausspioniert und aufgrund ihres Verhaltens im Privatleben in Kategorien eingeteilt werden. Das Bündnis fordert ein Widerspruchsrecht des Landesdatenschutzbeauftragten und eine unabhängige Kontrollstelle bei der Polizei. Dies sei gerade nach den jüngsten Skandalen bei der Landespolizei wie dem Verdacht des Munitionsdiebstahls nötig.

David Wulff stört sich vor allem an der geplanten Legalisierung von Staatstrojanern, also Software, mit der die Polizei Bürger im Internet ausspionieren könnte. Dies würde „die Bürgerrechte deutlich einschränken“, sagt der Generalsekretär der Landes-FDP. Anders als geplant müsse in diesem Bereich eben weiterhin jeder einzelne Schritt der Polizei von einem Richter abgesegnet sein. Wulff nennt ein Beispiel: Wenn die Polizei per Richterbeschluss die WhatsApp-Nachrichten eines Verdächtigen überwachen dürfe, könnte sie auch andere Informationskanäle ausspionieren, schlimmstenfalls sogar dort etwas manipulieren. Kritisch sieht er auch die Möglichkeit, Bekannte von Tatverdächtigen online ins Visier zu nehmen. „Zum Beispiel Mitbewohner in einer WG“, fürchtet Wulff. Dies hatte Innenminister Lorenz Caffier (CDU) im Landtag zwar wortgewaltig zurückgewiesen, als er den Rapper Marteria für ein Video kritisierte. Wulff bleibt dabei: Die Möglichkeit bestehe. „Wir sind den Gesetzentwurf mit Juristen durchgegangen.“ Als Beleg zieht er den neuen Paragrafen 27 im SOG heran. Dort heißt es: Daten könnten auch von Personen erhoben werden, die in „nicht nur flüchtigem oder in zufälligem Kontakt“ mit Verdächtigen stehen und Kenntnis von der Vorbereitungen einer Straftat oder sogar Vorteil davon haben. Für Wulff ein Blankoscheck für Ermittlungen.

Der Innenminister lässt dies anders darstellen. Das „bloße Zusammenleben in einer WG erfüllt gerade nicht die Voraussetzungen“, so eine Sprecherin. Es bedürfe „zusätzlicher Anhaltspunkte“ mit Bezug zu Ermittlungen. Das Regierungskabinett aus CDU und SPD hat den Gesetzentwurf bereits im Juni abgesegnet.

Dennis Klüver, Chef der Piratenpartei in MV, hält den Gesetzentwurf für verfassungswidrig. Zudem störe ihn, „die zunehmende Beseitigung der Unschuldsvermutung von Personen, die nur Kontakt zur Zielperson haben“. Linken-Landeschefin Wenke Brüdgam moniert, „dass die polizeiliche Überwachung aufgrund von Mutmaßungen angeordnet wird“. Sie fürchte „einen immensen Eingriff in Grundrechte“. Brüdgam: „Um das SOG noch zu ändern, braucht es den Druck von der Straße.“

Die Gewerkschaft der Polizei in MV versteht die Aufregung um das neue Gesetz nicht. „Es geht um Gefahrenabwehr, nicht um Strafrecht“, sagt Landesvorsitzender Christian Schumacher. Die Polizei dürfe nur unter Richtervorbehalt und für einen kurzen Zeitraum die neuen Mittel anwenden. Es sei ein „gutes Gesetz“, das da auf den Weg gebracht werden soll. Gesellschaftliche Veränderungen erforderten nun einmal, dass der Staat handlungsfähig bleibt, so Schumacher. Was ihn wundere: Viele Menschen offenbarten viel Privates im Netz, nutzen Apps, ohne deren Sicherheit zu überprüfen. „Aber gegen den Rechtsstaat gibt es offenbar ein tiefes Misstrauen“, so Schumacher. Aus seiner Sicht würden hier übertriebene Ängste geschürt.

Das neue Polizeigesetz wird sich aufgrund des Protestes offenbar hinauszögern. Da viele Organisationen anzuhören sind, habe der Innenausschuss des Landtags die öffentliche Anhörung aufgeteilt. Dafür seien nun als Termine der 22. August und der 13. September vorgesehen, erklärt Ausschussvorsitzender Marc Reinhardt (CDU). Vermutlich werde das Gesetz daher erst im Januar den Landtag erreichen.

Die Grünen planen am 26. August eine eigene öffentliche „Anhörung“. In Rostock sind dazu Experten zu einer Gesprächsrunde geladen, darunter Rechtsprofessoren.

Die Demo gegen das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes findet am Sonntag, 18. August, in Rostock statt. Laut Stadtverwaltung sind 250 Teilnehmer angemeldet, laut Bündnis 350 –mit Hoffnung auf deutlich mehr. Startpunkt soll um 13 Uhr der Doberaner Platz sein. Dann solle es Richtung Polizeiinspektion in der Ulmenstraße ­gehen.

Aktuell ist das Thema SOG eher wegen der an Peinlichkeit kaum zu überbietenden Versuche der Polizei, Protest dagegen einzuschränken bzw. zu kriminalisieren. Konnte man die Damen und Herren Gesetzeshüter (so zumindest die Theorie) und ihr Auftreten rund um die Demonstration gegen die geplanten Gesetzesänderungen am 16.06.2019 in Schwerin noch aufgrund ihrer Zurückhaltung loben, zeigten sie während der Hanse Sail und dem Pokalspiel gegen den VfB Stuttgart in Rostock, dass sie womöglich doch eigene Interessen verfolgen, die zudem höchstwahrscheinlich nicht immer vom Gesetz gedeckt sind. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, wenn die freie Meinungsäußerung, wohl eines der höchsten Güter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und friedlicher Protest ohne Angabe von Gründen beschnitten wird.

Was war passiert?

Zur Eröffnung der Hansesail, welche in diesem Jahr mit reichlich Prominenz wie dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns Manuela Schwesig, dem Oberbürgermeister Rostocks Roland Methling und dem Präsidenten Portugals Marcelo Rebelo de Sousa begangen wurde, hielten einige Hansafans, die natürlich auch unter den Gästen waren, friedlich vor der Bühne Protestbanner gegen das SOG hoch. Wie Wahnsinnige sprinteten daraufhin mehrere Beamte der Bereitschaftspolizei Mecklenburg-Vorpommern los, um dies zu verhindern, nachdem sie die Hansafans bereits zuvor argwöhnisch beobachtet hatten, jedoch offensichtlich inmitten der anderen Besucher der Hanse Sail noch nicht eingreifen wollten. Mehrere der Polizeibeamten sprangen in einer Situation in ein Banner hinein und stellten sich darauf. In Folge der daraus resultierenden Zerrerei wurde es dann zerstört. Wohlgemerkt ein Banner, auf welchem „Nein zum SOG“ stand und insofern in keinster Weise die Rede davon sein könnte, dass so gehandelt wurde, weil der Inhalt beleidigend oder dergleichen war. Am Ende wurde lediglich eine Niederschrift ausgehändigt, auf welchem ,wie Ihr seht, erneut rechtswidrig in keinster Weise angegeben ist, aus welchem Grund oder auf welcher rechtlichen Grundlage das Banner eingezogen wurde.

Niederschrift

Andere Gruppen von Hansafans, die ähnliche Banner hochgehalten hatten, wurden von der Polizei  zunächst verfolgt und dann unrechtmäßig ohne Angabe von Gründen für zwei Stunden an Ort und Stelle festgehalten. Zu guter Letzt wurden den Eingekesselten die Personalien abgenommen. Dabei waren sich die involvierten Beamten der Polizei nicht zu schade, neben den gesetzlichen vorgeschriebenen Daten auch nach Telefonnummern der teilweise minderjährigen Hansafans zu fragen – obwohl dies weder Usus, noch rechtmäßig ist. (Un)glücklicherweise besitzen selbst die jüngeren mittlerweile  durch solches und anderes Verhalten der Polizei kaum noch Vertrauen in sie, sodass hier keine relevanten Angaben gemacht wurden. Auch einige der umstehenden Rentner, die das Geschehen verfolgt hatten, drückten ihr Unbehagen über das Verhalten der Polizei aus.

An einer weiteren Stelle wurde eine Bootsfahrt von einer Gruppe von Hansafans mit einem am Bug hängenden Banner mit der Aufschrift „Nein zum SOG“ von drei (!) Polizeischnellbooten angehalten – erneut, Ihr ahnt es bereits – ohne Angabe von irgendwelchen Gründen. Dabei wollten die Polizisten zunächst gar an Bord kommen, zumindest aber das Banner eingerollt sehen. Später warteten Beamte dann an Land, da sie offensichtlich des Banners habhaft werden wollten, was jedoch glücklicherweise nicht gelang. Warum es auf dem sonst so aktiven und beliebten Twitter-Account der Polizei zu diesen Aktivitäten keine Meldungen gab, weder an Land, noch zur See, ist uns nicht bekannt.

Der Kaiser von China lässt aber in jedem Fall grüßen. Wie uns aus sicherer, weil dazu offensichtlich selbst abgeordneter Quelle zu Ohren gekommen ist, hat Innenminister Caffier oder zumindest „jemand von ganz oben“ den Auftrag ausgegeben, dass Beamte in Schwerin Protestaufkleber abrubbeln sollen. So kommt man auch auf die stets beklagten Überstunden, nehmen wir an.

Beim Pokalspiel gegen den VfB Stuttgart protestierten beim Aufhängen der Banner die eingesetzten Ordner kurioserweise gegen das große schwarz-weiße Banner „Nein zum SOG-MV“ auf der Nordtribüne. Ihnen sei gesagt worden, dass die Polizei gegen das Aufhängen des Banners und es daher nicht gestattet sei.  Dann hieß es auf einmal von der Polizei, dass nicht sie, sondern der DFB dagegen sei. Tatsächlich hatte deren Vertreter im Stadion wohl aber nur gefragt, was drauf stehe, wie es nach und nach in verschiedenen Gesprächen mit Entscheidungsträgern durchsickerte. Der Verein und der Vorstandsvorsitzende von Hansa, Robert Marien sowie gleichzeitig ja Hausherr im Ostseestadion und nicht etwa die Polizei, hatte demnach auch nichts gegen das Aufhängen des Banners. Die Polizei behauptete zuletzt, dass sie das mittlerweile aufgehangene Banner nicht so zeigen lassen könne, da es angeblich politisch sei. Was auch immer das meinte oder wieso dies problematisch sei, konnte hingegen nicht näher erläutert werden.

Im weiteren Verlauf wurde deutlich, dass die Polizei das Banner zur Not auch selbst abnehmen wollte. Darauf hingewiesen, dass man sich das als Hansafan köstlichst anschauen und selbstverständlich auch mit Bildern festhalten würde, wie Polizeibeamte ein Protestbanner gegen die umstrittene Verschärfung des SOG abnehmen würden, konnte das Ganze letztlich abgewendet werden. Zwischenzeitlich war sogar der auf zwei Stunden vor Anpfiff datierte Einlass um 16:30 Uhr durch die Polizei wegen der „Sicherheitslage“ verzögert worden, da man für ein eventuelles Abnehmen des Banners natürlich nicht schon Publikum im Stadion haben wollte  – wegen eines ähnlich schönen Gummibegriffs also, wie viele weitere im neuen SOG geplant sind. Im Gespräch zwischen Vereinsführung und der Polizei konnte sich in Anbetracht des Zuschauerandrangs und einer tatsächlich herbeigeführten Sicherheitslage, wenn der Einlass nicht beginne, darauf geeinigt werden, dass das Banner doch hing.

Letztlich zeigt das Verhalten der Polizei also (mal wieder) weshalb man sehr kritisch den Gesetzgebungsprozess rund um die Novellierung des SOG-MV verfolgen sollte, wenn bereits bei einfachen Protestbannern so peinlich versucht wird, dies zu kriminalisieren bzw. zu verhindern. Für uns zeigt sich nur umso deutlicher, dass alles Mögliche getan werden muss, um es so in dieser Form nicht rechtskräftig werden zu lassen. Wenngleich der Protest so vieler verschiedener Menschen und Gruppen aus Mecklenburg-Vorpommern glücklicherweise erste Früchte gezeigt hat, ist trotzdem nichts gewonnen oder erreicht. Es bleibt dabei, dass ein jeder(!) dazu aufgefordert ist, hier aktiv und kritisch zu bleiben.

In diesem Sinne: NEIN ZUM SOG-MV!

Hanseatische Grüße
Blau-Weiß-Rote Hilfe Rostock