Ostern auf dem Bahnhof…

Dass man den Tag zwischen Karfreitag und Ostersonntag auch mal in einem dunklen Bahnhofstunnel, statt im Fußballstadion verbringen kann, mussten dieses Jahr einige Hansafans unfreiwillig miterleben. Die meisten Fußball-Interessierten haben im Nachgang wohl nur die Schlagzeilen zu den vermeintlich „sicherheitsgefährdenden“ Ereignissen an diesem Tag gelesen. Da nun mittlerweile klar ist, welche rechtlichen und privaten Konsequenzen der „Spaß“ für einige der Reisenden haben wird, möchten wir an dieser Stelle noch mal ein paar Worte zu der Sache verlieren:

Am 30.03.2013 machten sich über 100 Hansafans auf den Weg, um unsere Mannschaft beim schweren Auswärtsspiel in Osnabrück zu unterstützen. Angereist wurde per Wochenendticket, jedoch nicht auf der Route die die Polizei erwartete, sondern auf einer eigens gewählten Alternativstrecke. Während der Fahrt sollen dann, laut polizeilicher Pressemitteilung, einzelne Hansafans geraucht und den Zug massiv „vermüllt“ haben. Zudem sollen Zivilbeamte bedroht worden sein.

Diese Vorwürfe reichten dann aus, um die gesamte Gruppe, welche lose im gesamten Zug zwischen den anderen Reisenden verteilt war, beim Zwischenstopp in Hannover zur Identitätsfeststellung aus dem Zug zu zwingen und an der Weiterfahrt zu hindern. Die Zugbegleiter hingegen wiesen die Beamten noch darauf hin, dass aus ihrer Sicht nichts gegen eine Weiterfahrt der Hansafans sprechen würde. Das Ergebnis dieser unerfreulichen Ereignisse (Details dazu unter „Spieltagrückblick“) war, dass die gesamte Gruppe das Spiel verpasste und geschlagene fünf Stunden in einem Bahnhofstunnel festgehalten wurde. Anschließend zwangen die Beamten die Hansafans zur geschlossenen Rückfahrt nach Rostock.

Wie sich mittlerweile herausstellte, wurden zahlreiche Ermittlungsverfahren durch die Polizei eingeleitet. Darüber hinaus bekamen schon vor dem Ende der Ermittlungen mehrere Hansafans ein Stadionverbot durch den DFB, sowie Abmahnungen und Beförderungsverbote der Deutschen Bahn. Zudem wurde zahlreichen Personen gegen die ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, ein Aufenthaltsverbot für die nächste Auswärtspartie in Osnabrück erteilt.

Vollkommen unabhängig davon, ob die unterschiedlichen Sanktionen und Repressionen angemessen und verhältnismäßig sind, möchten wir an dieser Stelle noch einmal entschieden gegen die leider übliche Praxis der Datenweitergabe durch die Polizei protestieren! Es verstößt gegen jedes rechtsstaatliche Prinzip, dass nicht-staatliche Institutionen außerhalb der Justiz über den Stand und den Inhalt laufender Ermittlungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden! Bei vielen Betroffenen ging es dabei sogar so weit, dass die Auskünfte der Deutschen Bahn in ihren Abmahnungsschreiben hinsichtlich des Inhalts der laufenden Ermittlungsverfahren ergiebiger waren, als die Vorladungsschreiben der Polizei!

Zudem haben einige Betroffene die Abmahnungen der Deutschen Bahn noch vor den Vorladungen der Bundespolizei erhalten, sprich die Information, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren läuft, wurde zunächst nur durch die Deutsche Bahn erlangt!

Viele von euch werden schon einmal gehört haben, wie ein Stadionverbot in der Praxis zustande kommt: die Polizei eröffnet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat und fordert nur auf Grund dieses anfänglichen Tatverdachtes die Vereine und/oder Fußballverbände auf, ein Stadionverbot gegen den Betroffenen zu verhängen!

Dadurch verstößt die Polizei jedoch gegen einen tragenden Pfeiler des Rechtsstaates, die Unschuldsvermutung! Diese besagt, dass eine unter Tatverdacht stehende Person solange als unschuldig gilt, bis ihre Schuld bewiesen und eine rechtskräftige gerichtliche Verurteilung erfolgt ist!

Durch diese Art der Vorverurteilung und Sanktionierung maßt sich die Polizei also schlicht Kompetenzen an, die als ureigenste Aufgabe ausschließlich dem strafrichterlichen Amt obliegen und verstößt damit gegen den rechtstaatlichen und verfassungsmäßig verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung!

Dieses unrechtsstaatliche Vorgehen, welches seit Jahren vom DFB, seinen Lizenzvereinen und den Landesfußballverbänden wider besseren Wissens praktiziert und gefördert wird, wird nunmehr scheinbar auch mit der Deutschen Bahn praktiziert und von dieser unterstützt, denn anders sind Beförderungsverbote vor einer gerichtlichen Urteilsfindung nicht zu erklären! Zudem ist den Schreiben zu entnehmen, dass die in den Ermittlungsverfahren dargestellten Tatgeschehen als feststehende Tatsachen gewertet werden, unabhängig davon, ob die Tat nachgewiesen und die Schuld festgestellt wurde! Darüber hinaus erscheint es zudem rechtlich mehr als fraglich, dass sich die Deutsche Bahn eine solche Sanktionierung ihrer „Kunden“ anmaßt. Zwar ist es ihr gutes Recht, von ihrem Hausrecht auf den Bahnhöfen und in den Zügen Gebrauch zu machen. Aber schon auf Grund der starken Monopolstellung der Deutschen Bahn ist es eine Unverschämtheit, Beförderungsverbote nur auf Grund der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auszusprechen, ohne eine mögliche Verurteilung abzuwarten!

Und selbst nach einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung scheint es doch fragwürdig, wenn die Deutsche Bahn einzelne Personen durch Beförderungsverbote sanktioniert, denn eine (strafrechtliche) Sanktionierung obliegt ebenfalls einzig und allein dem Staat und seinen unabhängigen Strafgerichten!

Wir möchten noch einmal betonen, dass es uns nicht darum geht, strafrechtlich relevantes Verhalten von Fußballfans zu entschuldigen oder zu relativieren, wir fordern aber deutlich auf, dass ein solches Verhalten nach wie vor mit rechtsstaatlichen Mitteln und allein durch den Staat zu verfolgen und ggf. zu ahnden ist! Die rechtsstaatliche Gewaltenteilung gibt es in unserer Demokratie aus gutem Grunde. Die Politik verabschiedet Gesetze, die Polizei vollzieht das geltende Recht und Richter haben zu entscheiden, ob und wie Gesetze eingehalten wurden und gegebenenfalls über die zu verhängende Strafe.

Was passierte nun aber im Fall Hannover und seit Jahren in der Stadionverbotspraxis? Die Polizei maßt sich schlicht an, gegen diese rechtsstaatlichen Prinzipien zu verstoßen, indem sie noch vor Abschluss eines Ermittlungsverfahrens und vor einer möglichen Verurteilung durch die Gerichte, die Daten der Beschuldigten samt Nennung der Tatvorwürfe und des Tatgeschehens, mit entsprechender Handlungsempfehlung an die Verbände und die Deutsche Bahn herausgibt.

Während die Innenminister und die Polizeibehörden, insbesondere vertreten durch ihre Polizeigewerkschafter, bei Verfehlungen der Kollegen stets lautstark und oft polternd darauf verweisen, dass man zu laufenden Ermittlungsverfahren keine Angaben machen dürfe und man auf Grund der Unschuldsvermutung eine Vorverurteilung zu unterlassen habe, da eine Verurteilung einzig und allein den unabhängigen Richtern der deutschen Strafjustiz überlassen werden solle, werden im Fall von Fußballfans nach beinahe jedem Wochenende, trotz noch laufender Ermittlungsverfahren, unter bewussten Verstoß der Unschuldsvermutung Sanktionen verhängt und persönliche Daten rechtswidrig weitergegeben, bevor eine mögliche Schuld überhaupt richterlich durch Urteil festgestellt wurde!

Aus diesem Grund fordern wir den DFB, seine Lizenzvereine und alle Landesfußballverbände sowie die Deutsche Bahn auf, sich von diesem unrechtsstaatlichen Vorgehen der Polizei nicht weiter instrumentalisieren zu lassen und sich nicht über rechtsstaatliche Grundsätze hinweg zu setzen!

Mit hanseatischen Grüßen
die Blau Weiß Rote Hilfe