Absurdistan!
Vor ein paar Wochen verwiesen wir auf eine Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte zum Thema Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Da es sich dabei um ein wichtiges Anliegen handelt, möchten wir uns auch längerfristig und ausführlich damit beschäftigen.
Die Bundesrepublik Deutschland wird seit Jahren nicht nur von verschiedenen Organisationen wie der Menschenrechtsgruppe Amnesty International oder der AG Fananwälte, sondern selbst vom Anti-Folter-Komitee der Vereinten Nationen und dem der Europäischen Union kritisiert.
Neben der fehlenden Kennzeichnungspflicht wird vor allem das Nichtvorhandensein eines unabhängigen Organs, das sich mit Straftaten von Polizeibeamten auseinandersetzt und diese ahndet, bemängelt.
Obwohl diese Missstände weitläufig bekannt sind, wehren sich weite Teile der Politik und die Polizeigewerkschaften mit teilweise hanebüchenen Argumenten dagegen. Beim letzten Mal warteten wir bereits mit der (Achtung Ironie!) äußerst logischen Erklärung, „Polizisten sind keine Nummern, sie sind Menschen“, auf.
Heute wollen wir auch auf die anderen Argumente der Kennzeichnungspflichtgegner eingehen. Dabei möchten wir zunächst aufzeigen, weshalb sie nicht zutreffen und dann nochmals deutlich machen, warum das Thema so wichtig ist.
In vielen anderen Ländern Europas gibt es eine polizeiliche Kennzeichnungspflicht bereits. Hierzu zählen England, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Litauen, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern. Dabei gibt es natürlich einige Unterschiede und Besonderheiten. Allen gemein ist jedoch, dass die Identifizierung von einzelnen Polizeibeamten, insbesondere in geschlossen Einsatzhundertschaften (also bei Demonstrationen, Fussballspielen etc.), möglich ist. Auch in den USA gibt es seit dem Jahr 1975 eine Kennzeichnung für Polizeibeamte in Form eines Namensschildes.
In Deutschland hingegen nicht. Was es in Deutschland gibt, sind immer wieder auftretende Fälle von unangemessener Polizeigewalt. In jüngster Vergangenheit mussten wir solche Erfahrungen bei den Auswärtsspielen unseres F.C. Hansa in Darmstadt oder in Erfurt in der letzten Saison machen. Ein anderer Fall, der Polizeieinsatz in der Nordkurve des F.C. Schalke 04, beim Spiel gegen PAOK Saloniki, wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert und ist sicher noch jedem im Gedächtnis. Abseits des Fussballs kann man die mindestens umstrittenen Polizeieinsätze bei der Blockupy-Demonstration in Frankfurt am Main Mitte des Jahres oder bei den Protesten zu Stuttgart 21 im September 2010 anführen.
Die Frage die sich einem dabei aufdrängt: Warum gibt es in Deutschland eigentlich keine Kennzeichnungspflicht? Politik und Polizeigewerkschaften (GDP und DPolG) berufen sich hauptsächlich auf folgende zwei Argumente:
1. Polizisten werden durch die Einführung der Kennzeichnungspflicht unter Generalverdacht gestellt
In unseren Augen ist das Gegenteil der Fall. Ohne Kennzeichnungspflicht stehen die Beamten unter Generalverdacht. Was bleibt einem auch anderes übrig, wenn man den einzelnen Polizisten in der Kampfmontur nicht mal erkennen kann? Wenn es keine Möglichkeit gibt Straftaten von einzelnen Polizeibeamten verfolgen zu lassen, kann man ja nur verallgemeinern und die Polizei generell kritisieren. Parolen wie „All Cops are Bastards“ werden erst dadurch in der Gesellschaft hoffähig. Auch das Klagen vieler Polizisten, dass ihnen im Alltag mehr und mehr Widerstand und Gewalt entgegenschlagen, erscheint vor diesem Hintergrund nicht überraschend.
Solange Politik und Polizeigewerkschaften weiterhin nur mit Forderungen nach härteren Gesetzen antworten und sich dieser Tatsachen verwehren, solange wird sich der Trend vom sinkenden Respekt vor der Polizei nicht umkehren lassen. Es muss möglich sein, dass in den Reihen der Polizei aufgeräumt werden kann. Politik und Polizeigewerkschaften stehen in der Pflicht dafür zu sorgen, dass der Ruf der Polizei nicht weiter durch Beamte, die teilweise wie „Hooligans in Uniform“ auftreten, geschädigt wird.
2. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts ist mit individueller Kennzeichnung jedes Beamten nicht mehr gewährleistet
Auch dieses Argument zieht nicht. Es wird von niemandem gefordert, dass der komplette Name und die Anschrift jedes Beamten auf der Uniform sichtbar sein muss.
Es geht um eine Kennzeichnung in Form eines Schildes mit Namen oder individueller Nummer. Diese soll es möglich machen, einzelne Polizeibeamte zu identifizieren und juristisch zu belangen, wenn sie eine Straftat begangen haben. Im Übrigen wird dies in Berlin, wo es die Kennzeichnungspflicht bereits gibt, auch so gehandhabt.
Zudem erscheint es geradezu lächerlich, wenn man sieht wie Fussballfans an jedem Wochenende durch die Polizei in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt werden. Hier kann man die mindestens umstrittene Datei Gewalttäter Sport anführen, in der tausende Fans teilweise ohne ihr Wissen gespeichert sind.
Ein anderes Beispiel ist die besonders in jüngster Vergangenheit oft auftretende Methode der Polizei, Daten von Fussballfans an Dritte, wie z.B. Bahn oder städtische Behörden, weiterzugeben. Ähnlich verhält es sich bei der Problematik Stadionverbote. Vor diesem Hintergrund erscheint das Argument als ein billiger Versuch Panik zu verbreiten und die Polizei in eine Opferrolle zu drängen, in die sie nicht gehört.
In ähnlicher Art und Weise versuchen die Gewerkschaften Angst zu schüren, indem sie behaupten, dass Polizisten durch eine Kennzeichnungspflicht Verfolgung und Angriffe auf ihre Person und ihr Eigentum befürchten müssten. Unsinn, wie das Beispiel Berlin nachdrücklich zeigt.
Auch die Behauptung, Polizeibeamte müssten durch eine Kennzeichnungspflicht eine Vielzahl an ungerechtfertigten Anzeigen erwarten, ist abwegig. Falsche Verdächtigung ist eine Straftat und von daher äußerst unwahrscheinlich.
Zudem verstehen wir Politik und Gewerkschaften hier nicht. Es scheint so, als wenn kein Vertrauen in die deutsche Justiz vorhanden wäre. An anderer Stelle wird doch gerade der vermeintlich gut funktionierende Rechtsstaat in Deutschland immer wieder als Argument genutzt, um zu begründen, warum keine Kennzeichnungspflicht benötigt wird. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Gegner der Kennzeichnungspflicht ihre Realitäten gerne so hinlegen, wie es ihnen und ihrem gerade aktuellen Ziel, vonnöten scheint.
Nochmals zum Verständnis: Wie sieht die Praxis jetzt (ohne Kennzeichnungspflicht) aus? Kommt es zu einer Straftat eines Beamten und es gibt zufälligerweise Zeugen oder noch besser Videoaufnahmen, ist eine Verfolgung meist trotzdem unmöglich, da man den einzelnen Beamten in seinem Kampfanzug nicht identifizieren kann. Die einzige Möglichkeit, die man in dieser Situation als Geschädigter oder Zeuge hat, ist die Herausgabe der Dienstnummer des Polizisten zu fordern. Wie diese Sache im Normalfall ausgeht, kann sich jeder vorstellen. Entweder verweigert sich der Beamte, nennt eine falsche Nummer oder beleidigt sogar noch munter drauf los. Kommt es jedoch trotzdem einmal zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, gehen Polizisten gegen ihre eigenen Kollegen vor. Staatsanwälte klagen örtliche Polizeibeamte an, die sie zum Teil gut kennen und auf deren Zusammenarbeit sie angewiesen sind.
So kann es nicht verwundern, dass die Aufklärungsrate von Polizeigewalt sehr niedrig ist. Die Dunkelziffer hingegen ist enorm groß, da viele Vergehen und Straftaten gar nicht erst zur Anzeige gebracht werden. Wie auch? Wo kein Täter, da auch keine Tat.
Aus diesem Grund ist die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte in Deutschland dringend notwendig. Je länger sich dagegen gewehrt wird, desto mehr Menschen verlieren den Glauben an den Rechtsstaat.
Von Seiten der Polizei und der Politik wird gegenüber Fussballfans immer wieder die Forderung „Feinbilder abbauen“ angebracht. Das Abrücken vom Widerstand gegen die Kennzeichnungspflicht bietet eine herausragende Möglichkeit genau hierzu beizutragen. Unsinnige Argumente und peinliche Ausflüchte bewirken genau das Gegenteil.
Die anscheinend ernst gemeinte Behauptung einiger Parteien und der Gewerkschaften, alle Polizisten verrichten zu jeder Zeit professionell und fehlerlos ihre Arbeit, kann nur ein schlechter Scherz sein. Vor allem vor dem Hintergrund ständig wiederkehrenden Jammerns über Einsätze bei Fussballspielen und Demonstrationen. Polizisten sind auch nur Menschen, wie die Gewerkschaften an anderer Stelle ja komischerweise doch wieder zu verstehen geben.
Ebenso verhält es sich mit einer lächerlichen Pressekonferenz, auf der mithilfe eines Namensschildes und eines Eisbeines ernsthaft probiert wird, aus der Kennzeichnungspflicht eine Gefahr für Leib und Leben von Polizisten zu machen und anderen wahrhaft fadenscheinigen Begründungen.
Wir sind überzeugt, dass die Kennzeichnungspflicht früher oder später kommen wird. Der Ball liegt in dieser Frage allerdings weniger bei der Polizei sondern vor allem bei der Politik.