Hallo Hansafans,
am 06.09.2014 spielte der F.C. Hansa Rostock zu Hause gegen den Halleschen FC. Unseren beiden minderjährigen Mitgliedern Quentin Qualle und Manni Makrele (Namen von der BWRH geändert) war dieses Heimspiel trotz gültiger Eintrittskarten nicht vergönnt. Die beiden Hansafans verbrachten die 90 Minuten stattdessen in einem Gefangenentransporter und bei der Polizei in der Rostocker Blücherstraße.
Die Blau-Weiß-Rote Hilfe begleitet und unterstützt die Mutter von Manni Makrele in diesem Fall bereits von Beginn an. Auch wenn die letzte Entscheidung noch aussteht, hat der Vorfall bereits den Leiter des Kriminalkommissariats Rostock und stellvertretenden Leiter der Polizeiinspektion Rostock, Herrn Polizeioberrat Achim Segebarth, das Verwaltungsgericht Schwerin sowie Anwaltskanzleien in Rostock und Berlin beschäftigt.
Doch der Reihe nach:
Noch während die Blau-Weiß-Rote Hilfe ihren Stand an diesem Tag auf der Südtribüne des Ostseestadions aufbaute, klingelte bereits das an Spieltagen erreichbare Notfalltelefon. Uns erreichte die Nachricht, dass sich in der Nähe des LT-Clubs zwei Hansafans einer polizeilichen Maßnahme unterziehen lassen mussten. Innerhalb weniger Minuten waren zwei Vertreter der BWRH vor Ort und konnten sich mithilfe weiterer Zeugen ein erstes Bild vom Geschehen machen. Auffällig war, dass die beiden Jungs bereits in einen Gefangenentransporter der Polizei gesperrt waren. Dort war es uns möglich, kurz mit den drinnen stehenden Betroffenen zu sprechen. Es stellte sich dabei heraus, dass die beiden noch keine 18 Jahre alt, also minderjährig waren, was sie der Polizei durch ihre vorgezeigten Personalausweise auch zu erkennen gegeben hatten. Weitere Angaben hatten die beiden der Polizei gegenüber nicht gemacht. Überdies stellte sich heraus, dass die vor Ort verantwortlichen Beamten eine Ingewahrsamnahme trotz der Minderjährigkeit für gerechtfertigt angesehen hatten, weil einer der beiden mehrere Schlauchschals mit sich führte und beide gültige Eintrittskarten für das an diesem Tage stattfindende Heimspiel bei sich trugen. Es entwickelte sich zwischen den Beamten vor Ort und einem Vertreter der BWRH ein reger Austausch über die Schutzwürdigkeit von Minderjährigen, sowie der Akzeptanz, insbesondere bei jungen Fans des FC Hansa Rostock, gegenüber örtlichen Polizeieinheiten im Hinblick auf die Unverhältnismäßigkeit dieser polizeilichen Maßnahmen. Die Polizei vor Ort vertrat die Ansicht, dass sowohl eine weitere erkennungsdienstliche Behandlung in Räumlichkeiten der Polizei erforderlich, als auch dass die Ingewahrsamnahmen bereits deshalb gerechtfertigt seien, weil die beiden Minderjährigen Gegenstände bei sich trugen, die der Vermummung dienen könnten. Schließlich argumentierten sie, dass die beiden Hansafans bereits beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Vereine in Rostock erkennungsdienstlich behandelt worden waren. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die Maßnahme beim Heimspiel gegen Halle, bei der ca. 200 Hansafans erkennungsdienstlich behandelt worden waren. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von staatlichen Maßnahmen ließ der verantwortliche Beamte jedoch nicht gelten: seitens der BWRH wurde ausdrücklich und mehrfach auf die Möglichkeiten der Beschlagnahme der Bekleidungsstücke, eines Platzverweises oder einer Gefahrenansprache hingewiesen. Aber es kam, wie es kommen musste: eine einmal getroffene Entscheidung – und sei sie auch noch so offensichtlich rechtswidrig wie diese – musste durchgezogen werden. Manni und Quentin sollten nun einem Richter vorgeführt werden und wurden wie Schwerverbrecher zur Blücherstraße verbracht. Einen Richter haben die beiden dort allerdings nie gesehen. Stattdessen wurden die beiden in der Blücherstraße getrennt und eine weitere Beamtin kontaktierte die Mutter von Manni telefonisch. Dieses Gespräch konnte Manni nicht mithören, da er sich nicht im selben Raum befand. Die Beamtin erzählte der Mutter sowohl von einem geplanten Angriff auf den Gästeblock, für welchen ihr Sohn Sturmhauben verteilt hätte, als auch von einer Einlassung ihres Sohnes dahingehend. Die Mutter glaubte den erfundenen Angaben der Beamtin (tatsächliche hatte sich weder Manni geäußert, noch war ein Angriff auf den Gästeblock geplant oder gar erfolgt) und erteilte die Genehmigung zur Fertigung von Fingerabdrücken und Fotos. Diese wurden im Anschluss umgehend angefertigt. Gegen 14:45 Uhr war die Maßnahme in der Blücherstraße beendet und Manni und Quentin wurden in die Freiheit entlassen; ohne dass sie – wie es der Gesetzgeber bei Minderjährigen vorschreibt – in die Obhut ihrer Eltern gegeben worden wären.
Noch am selben Tag nahm die BWRH Kontakt mit der Mutter auf und besprach das weitere Vorgehen. In erster Linie kam es der Mutter darauf an, dass die Bilder und Fingerabdrücke ihres Sohnes gelöscht werden und dass sich die verantwortlichen Beamten bei ihr und ihrem Sohn entschuldigen. Den größten Unmut der Mutter zog die Beamtin aus der Blücherstraße auf sich, da sie in dem geführten Telefonat durch falsche Aussagen ganz erheblich die Integrität ihrer Familie gefährdet hatte. Der BWRH kam es insbesondere darauf an, feststellen zu lassen, dass bereits die Ingewahrsamnahme rechtswidrig war.
Mithilfe von Vertretern unserer Solidargemeinschaft verfasste die Mutter eine zweiseitige Dienstaufsichtsbeschwerde, in der das Verhalten der involvierten Beamten in der Nähe des LT-Clubs, die Ingewahrsamnahme und die erkennungsdienstliche Behandlung gerügt und eine Aufklärung sowie Entschuldigung gefordert wurden. Der Leiter der Polizeiinspektion reagierte auf diese Dienstaufsichtsbeschwerde, indem er die Eltern von Manni zu einem Gespräch mit seinem Stellvertreter, den Leiter des Kriminalkommissariats, Herrn Segebarth, in die Blücherstraße einlud. An diesem Treffen nahm auch ein Vertreter der BWRH teil, um sicher zu stellen, dass in ähnlichen Fällen künftig mit verhältnismäßigen Maßnahmen gerechnet werden könne. Diese Erwartungen wurden in dem über 90-minütigen Gespräch schnell als naiv und aussichtslos eingestuft. Vielmehr mussten sich die Eltern einen oberlehrerhaften Vortrag eines Kommissariatsleiters anhören, der sowohl die Betroffenen, als auch alle anderen Fans unter Generalverdacht stellte. Anstatt das Verhalten der eigenen Beamten einer kritischen Begutachtung zu unterziehen, wurden sowohl das Verhalten der Polizisten vor dem Spiel, als auch der Abtransport im Gefangenentransporter, die damit verbundene Ingewahrsamnahme sowie die Anfertigung von Fingerabdrücken und Bildern der Minderjährigen als geeignet, erforderlich und zumutbar deklariert, um einer erdachten Gefahr von minderjährigen Jungs zu begegnen. Ein Fehlverhalten seiner Kolleginnen und Kollegen konnte und wollte Herr Segebarth nicht feststellen. Auf die konkrete Frage, ob in ähnlichen Konstellationen – insbesondere bei Minderjährigen – wiederholt eine Ingewahrsamnahme für rechtmäßig erachtet würde, antwortete der Kommissariatsleiter mit Ja. Die Notwendigkeit einer Entschuldigung, dienstlicher Konsequenzen oder einer Löschung der erhobenen Daten wurden von Herrn Segebarth nicht gesehen und auf eine ihm eigentümliche, arrogante Art verneint. Es war also zu befürchten, dass es in ähnlichen Fällen zur Wiederholung seitens der Polizei kommen würde, sodass mithilfe eines unserer Anwälte beim Verwaltungsgericht Schwerin eine Klage eingereicht wurde mit dem Begehren, die Ingewahrsamnahme und die ED-Behandlung als rechtswidrig feststellen zu lassen.
Am 04.04.2016 hatte sich das Verwaltungsgericht Schwerin erstmalig zu der Sache geäußert. In Ihrem Schreiben an das Polizeipräsidium Rostock teilte es seine Rechtsauffassung mit, wonach die Ingewahrsamnahme und die ED-Behandlung rechtswidrig seien und die durchgeführten Maßnahmen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen hatten. Das Gericht teilte der Polizei also genau das mit, was den Vertretern der BWRH bereits vor Spielbeginn und Abtransport der Jungs bekannt war. So heißt es in dem Schreiben, welches der BWRH vorliegt, gleich zu Beginn: „Die Ingewahrsamnahme wäre als ultima ratio (Anm. d. Red.: „letztes mögliches Mittel“) nur dann rechtmäßig gewesen, wenn andere „besondere Maßnahmen“ im Sinne der § 50 ff. SOG MV nicht zum Erfolg hätten führen können. Vorliegend wären nach der erfolgten Identitätsfeststellung (der Kläger führte seinen Personalausweis bei sich) ein temporärer Platzverweis für den Bereich des Stadions zur Gefahrenabwehr ausreichend gewesen“! Und weiter: „Warum eine solche Vorgehensweise (Anm. d. Red.: gemeint ist ein Platzverweis) […] nicht hätte gewählt werden können, erschließt sich dem Gericht nicht.“!
Zur durchgeführten ED-Behandlung schreibt das Gericht: „Auch die durchgeführten erkennungsdienstlichen Maßnahmen dürften einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten; demgemäß ergibt sich auch aus diesem Blickwinkel keine Rechtfertigung für die Ingewahrsamnahme. Denn die Identität des Klägers war […] durch den Mitgeführten BPA ohne weiteres aufklärbar“. Das Anfertigen von Fingerabdrücken und Fotos dürfte, so das Gericht weiter, „vorliegend am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz scheitern. Insofern muss neben der Betrachtung des Lebensalters der Kläger hier insbesondere auch mit in den Blick genommen werden, dass die angenommene Vorstraftat um fast ein Jahr zurück lag“.
Im letzten Absatz wird in Richtung Polizei Rostock „angeregt, die Rechtswidrigkeit der angefochtenen polizeilichen Maßnahmen anzuerkennen“.
Dies tat die Polizeiinspektion Rostock sodann mit Schreiben vom 26.4.2016, welches der BWRH ebenfalls vorliegt, so dass die Klage damit zu Gunsten unseres Mitgliedes erledigt war und die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen offiziell durch die Polizei anerkannt war. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens wurden komplett der Polizei auferlegt und das Verfahren war damit beendet.
Da die Familie jedoch bis heute keine Entschuldigung, sowohl für die Maßnahmen, als auch für das überaus erniedrigende Gespräch mit dem stellvertretenden Leiter der Polizeiinspektion Rostock erreichte und auch die Löschung der Daten bisher nicht bestätigt wurde, hat der nunmehr erwachsene Manni eine weitere Anwältin mit der Löschung der Daten sowie der Anerkennung eines Schadensersatzanspruches betraut. Hierbei unterstützen wir unser Mitglied natürlich ebenso. Eine (gerichtliche) Entscheidung steht noch aus; wir halten euch aber gerne dazu auf dem Laufenden.
Was uns als Blau-Weiß-Roter Hilfe – und damit all unseren Mitgliedern – aus diesem Fall deutlich wird, ist, dass die Polizei bei konkreten Maßnahmen nicht in der Lage war, diesen einfachen Einzelfall hinreichend genau zu beurteilen und auf vorgetragene Hinweise hin, ihr Handeln einer Prüfung und gegebenenfalls einer Korrektur zu unterziehen. Weiter, dass den eingesetzten Beamten die besondere Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen nicht bekannt war. Und schließlich, dass eine einfache Verhältnismäßigkeitsprüfung die Beamten bereits bei offensichtlichen Argumenten (Minderjährigkeit, Platzverweis, Sicherstellung der Schals) scheitern ließ und dass selbst dem Leiter des Kriminalkommissariats die Mindestanforderung an rechtsstaatliches Handeln fremd zu sein scheinen; vom Anstandsgefühl aller polizeilichen Organe in diesem Fall ganz zu schweigen.
Wir wünschen der Familie weiterhin viel Spaß im Ostseestadion und bei den Spielen des F.C. Hansa, egal ob nah oder fern und melden uns zu diesem Fall erneut, wenn es eine Entscheidung zum Schadensersatzanspruch und zur Löschung der Daten gibt.
Hanseatische Grüße
Blau-Weiß-Rote Hilfe Rostock