Günni haben sie in die Eier getreten!

Hallo Hansafans,

nach der Aussage „Günni haben sie in die Eier getreten!“ des Zeugen in der Berufungsinstanz wurde die Verhandlung unterbrochen. Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung und der Nebenklägeranwalt einigten sich, das Verfahren gegen eine Geldzahlungsauflage einzustellen. Der Polizist C. hatte zuvor angegeben, dass er unmittelbar neben dem Geschehen stand, aber Tritte und mehrere Schläge des Angeklagten nicht gesehen hat. Er erinnere aber später den Spruch über Funk, „Günni haben sie in die Eier getreten“, das wusste er noch.

Für den angeklagten Hansafan Benjamin Blauwal (Name von der BWRH geändert) endete ein Verfahren, das sich über fast zwei Jahre hinzog. Eine Verurteilung wäre gleichbedeutend mit dem Verlust seiner Arbeitsstelle gewesen.

Die Anklage warf ihm vor, gemeinsam mit anderen einen Polizisten im Bereich vor dem Einlass am Stadion zwischen die Beine und gegen den Kopf getreten zu haben.

Der betroffene Polizist G. schrieb in seiner Anzeige, er sei sich sicher, dass dies der Angeklagte war, der ihn mehrfach trat. Andere hätten auch auf ihn eingeschlagen. Er ging dadurch zu Boden und wurde von Kollegen aus der Situation herausgezogen.

Die erste Verhandlung fand zunächst vor dem Amtsgericht statt. Der Polizist G. beschrieb beschämt, welche Leiden und Einschränkungen er nach dem Tritt zwischen die Beine noch bis zu zwei Wochen später gehabt habe. Das sei der Angeklagte gewesen. Diesen habe er mit eigenen Augen vor sich handelnd wahrgenommen. Videos gab es einige, nur das unmittelbare Geschehen war darauf nicht zu sehen. Es war aber zu erkennen, dass weitere Kameras direkt drauf hielten.

Tatsächlich gab es weiteres Bildmaterial. Auf dem neu aufgetauchten Video aus anderer Perspektive war zu erkennen, dass es Stöße von Polizisten gegen an ihnen vorbeigehende Hansafans gab und der Polizist G. einem Fan mit der Faust ins Gesicht schlug, was zu einer Eskalation führte. Man sah auch wie der Polizist dabei zu Boden ging. Der Angeklagte war unter den Fans sichtbar zu diesem Zeitpunkt jedoch außer Reichweite zum Polizisten G., er konnte ihn nicht getreten haben.

Der Polizist G beharrte auf seiner Version, wollte auf Fragen nicht mehr antworten und fragte, ob er nicht auch einen Anwalt als Nebenkläger haben könne. Das durfte er.

Ein weiterer Zeuge, der Polizist B., gab an, zwei Schläge vom Angeklagten gesehen zu haben. Der Zugführer des Trupps, der Zeuge A., sah einen Schlag des Angeklagten. Wie der ausgeführt wurde, das wusste er nicht mehr. Er habe aber den Angeklagten danach nicht aus den Augen gelassen und später dessen Verhaftung angeordnet.

Der Richter am Amtsgericht kam zu dem Ergebnis, er glaube zwar nicht, dass der Angeklagte selbst getreten habe, aber der Angeklagte hat – auch wenn die Aussagen der Polizisten A. und B. verschieden seien – mindestens einmal selbst geschlagen. Weil es mehrere Beteiligte gab, müsse der Angeklagte sich das Verhalten der anderen zurechnen lassen. Der Richter verurteilte den Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Ein Verfahren gegen den Polizisten G. wegen Körperverletzung im Amt oder Falschaussage wurde nicht eingeleitet. Wieder verging eine ganze Weile, nachdem die Verteidigung von Benjamin Blauwal Rechtsmittel eingelegt hatte.

In der Berufungsverhandlung beim Landgericht ging es darum, ob dem Angeklagten tatsächlich überhaupt eine Beteiligung an dem Geschehen nachgewiesen werden konnte. Immerhin hatte der Richter in der ersten Instanz aus den unterschiedlichen Angaben der Polizisten A. und B. herausgefiltert, der Angeklagte müsse zumindest einmal in Richtung von Polizist G. geschlagen haben. Wesentlich war, dass der Polizist A. als Zugführer seine Wahrnehmung von einem Schlag als sicher darstellte. Immerhin mache er das schon seit vielen Jahren, er sei als Zugführer einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit geradezu Profi auf dem Gebiet einer beweissicheren Festnahme.

Ganz so Profi war er dann doch nicht, als er unter Verkennung seiner Pflichten als Zeuge das Gericht ernstlich fragte, ob er Fragen der Verteidigung beantworten müsse. Was der Zeuge nachvollziehbar auch verschwieg: Er war einige Zeit zuvor Gegenstand öffentlicher Berichterstattung. Bei einem Bezirksligaspiel nahe Leipzig im Jahr 2013 kam es zu massiver Polizeigewalt. Im Internet kann man ein Video finden, auf dem zu sehen ist, wie er mit Kollegen einen filmenden Beobachter des brutalen Vorgehens, bei dem viele Fans verletzt wurden, gewaltsam zu Boden reißt und fesselt, wobei dessen Handy zerstört wird. Gegen den Polizeibeamten A. wurde deswegen ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung geführt. Über dieses wurde umfangreich in der Presse berichtet. Die Fanhilfe des Vereins der betroffenen Fans hatte mit viel Engagement die Aufarbeitung des völlig unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes betrieben.

Nachdem dann der Zeuge, der Polizist C., seine Erinnerungen wie eingangs erwähnt schilderte, waren mehr Fragen im Raum als Antworten wahrscheinlich waren, oder anders ausgedrückt, die Sache war erledigt. Mit der Einstellung des Verfahrens übernimmt die Staatskasse die Kosten der Verteidigung. Benjamin Blauwal konnte aufatmen.

Ein – zurückhaltend formuliert – kreatives Verhältnis zur Wahrheit bei Polizeizeugen ist ein lange bekanntes und immer wieder auftretendes Problem für Fußballfans und die Arbeit von Fanhilfen in Deutschland. In der Praxis heißt es häufig hinter vorgehaltener Hand: „Auch wenn es nicht so war, es trifft schon nicht den Falschen“.
Insofern zeigt dieser für die Blau-Weiß-Rote Hilfe letztlich exemplarische Fall auch: Es gibt viele Gründe, warum es wichtig ist, dass Verfahren gegen Fußballfans begleitet werden, über diese öffentlich berichtet wird und darüber hinaus ein Austausch zwischen Fanhilfen stattfindet.

Eure Blau-Weiß-Rote Hilfe Rostock