Ein Provinzgericht als Vorbild: Vom Jugendgerichtsgesetz und dessen (Nicht-)Anwendung in Rostock und anderswo

Hallo Hansafans,

vor kurzem wurde Harry Hammerhai (Name von der BWRH geändert) vor Gericht geladen. Dem noch jungen und heranwachsenden Hansafan wurde vorgeworfen, sich im Oktober 2013 an den Ausschreitungen im Anschluss an das Heimspiel des F.C. Hansa gegen Chemie Halle beteiligt zu haben. Er wandte sich also mit der Bitte um Rat an die Blau-Weiß-Rote Hilfe. Der ihm vermittelte Anwalt nahm Akteneinsicht und recht schnell wurde deutlich, dass die Aufzeichnungen der Polizei wohl für eine Identifizierung und damit eine Verurteilung ausreichen würden.

In der Hauptverhandlung vor seinem mecklenburgischen Heimatgericht zeigte sich Harry geständig und gab zu, bei den Geschehnissen nach dem Spiel, zugegen gewesen zu sein. Unter anderem zeigte er der Richterin die Größe der Steine, die er vor der Laufhalle gefunden und mit denen er in Richtung von Polizeibeamten geworfen hatte. Bei diesen handelte es sich um kleine Kieselsteine, wie auch auf den Videoaufnahmen der Polizei ersichtlich wurde: Zwar war eine Wurfbewegung Harry´s erkennbar, nicht aber die Steine, die durch die Luft flogen, was die Glaubwürdigkeit seiner zuvor getätigten Aussagen unterstützte. Ebenso wurde auf den bewegten Bildern deutlich, dass die also sehr kleinen Steine, aus erheblicher Entfernung geworfen worden waren, was die begründete Annahme zuließ, dass Harry nicht davon überzeugt gewesen sein konnte, dass diese wirklich ihren Weg zu den Beamten gefunden hätten.

Da Harry zum Tatzeitpunkt erst 19 Jahre alt war, bestand die Aussicht auf Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes (JGG). Dieses hat die Erziehung Jugendlicher und junger Erwachsener zum Ziel. Die Strafe kommt hier erst an zweiter Stelle. Zudem wurde nicht am Amtsgericht Rostock verhandelt.

Dies ist insofern erwähnenswert, da es dem/den Jugendrichter/innen in der Hansestadt nämlich aus unserer Erfahrung heraus vollkommen egal zu sein scheint, welches Ziel das JGG verfolgt und nach welchen Grundsätzen man es anwenden sollte.

So ziemlich jeder Hansafan, der das 18. Lebensjahr erreicht hat, wird in HRO, den pädagogischen Ansätzen des F.C. Hansa und des Fanprojekts Rostock zuwiderlaufend und entgegen der Empfehlungen der Jugendgerichtshilfe, nach Erwachsenenstrafrecht be- und verurteilt, egal welche auch langfristigen Folgen das für diese jungen Menschen hat, die zudem sehr häufig das erste Mal auffällig geworden sind.

Das Amtsgericht Rostock scheint offensichtlich von seiner erzieherischen Unwirksamkeit auszugehen und zieht sich wohl daher bequem auf das lediglich strafende Erwachsenenstrafrecht zurück. Seiner sozialen Verantwortung wird man mit der praktizierten Ignoranz des Jugendgerichtsgesetzes jedenfalls nicht gerecht, wobei dies an einem Standort wie der Hansestadt Rostock womöglich auch mit dem hochgerüsteten Polizeiapparat zusammenhängt.

Dass es auch anders geht, zeigte sich am Gericht in Harry´s Heimat. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe schlug die Anwendung des JGG vor. Sie begründete dies damit, dass sie nach der Inaugenscheinnahme des Videos und aus den Gesprächen mit Harry, sowie seinem Auftreten vor Gericht, den Eindruck hatte, dass Harry vom Verlauf der Geschehnisse und seinen Begleitern mitgerissen worden war, was für die Annahme einer jugendtypischen Verfehlung spricht.

Dies sah auch die Richterin so, verwarnte Harry und gab ihm auf, Arbeitsstunden zu erbringen.

Im Übrigen sah das Gericht den schweren Landfriedensbruch nicht als erfüllt an, da nicht festgestellt werden konnte, dass die Kieselsteine, aufgrund ihrer Größe und der Entfernung zu den Polizisten, in der konkreten Verwendung gefährlich waren. Auch eine versuchte gefährliche Körperverletzung sah die Richterin nicht. Zum einen waren auch hier die Kieselsteine in ihrer konkreten Verwendung nicht geeignet, erhebliche Verletzungen herbei zu führen. Zum anderen sah sie, wie dies in der juristischen Fachsprache genannt wird, einen „Rücktritt vom Versuch“, da Harry freiwillig sein vermutetes Vorhaben, die Verletzung der Polizeibeamten, zwischendrin aufgab, obwohl der Versuch noch nicht beendet war. Der Gesetzgeber wollte die freiwillige Aufgabe einer Tatverwirklichung honorieren und hat daher diese sogenannte „Goldene Brücke“ in die Straffreiheit in das Gesetz mit aufgenommen.

Harry profitierte letztlich davon, dass sein Fall nicht in Rostock verhandelt worden war. Eine „zweite Chance“ wäre ihm dort wohl verwehrt geblieben und seine eine falsche Entscheidung wäre ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit, mit einer erheblichen Verschlechterung seiner Zukunftsperspektiven, unverhältnismäßig teuer zu stehen gekommen.

Mit hanseatischen Grüßen
Blau-Weiß-Rote Hilfe Rostock