Moin Hansafans,
das Verfahren gegen unser Mitglied am Landgericht Rostock fand am Montag, den 02.05.2016 sein vorläufiges Ende.
Der Angeklagte wurde von der Strafkammer unter dem Vorsitz des Herrn Goebels wegen versuchter und vollendeter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Verstößen gegen das Vermummungsverbot zu einer Haftstrafe von vier Jahren und fünf Monaten verurteilt. Das Gericht befand den Angeklagten in drei von fünf Anklagepunkten für schuldig.
Als ständiger Beobachter des Verfahrens können wir nur mit dem Kopf schütteln. Aus unserer Sicht konnte in 33 Verhandlungstagen nicht festgestellt werden, dass dem Angeklagten auch nur eine Straftat nachgewiesen wurde. Unserer Meinung nach wurde lediglich festgestellt, dass es nicht auszuschließen sei, dass er Taten begangen haben könnte. In dubio pro reo? Wenn wir die krude (mündliche) Urteilsbegründung richtig verstanden haben, stützt die Kammer das Urteil im Wesentlichen auf die Aussagen des Zeugen und Mithäftling C. Einem schizophrenen, vor Gericht nachweislich lügenden und wegen Handel mit und Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Menschen, der kurz nach seiner Zeugenaussage aus der Haft entlassen wurde, obwohl er noch im Zeugenstand angab, keine Haftverkürzung beantragt zu haben. Man muss den während des gesamten Verfahrens schweigenden Angeklagten nicht näher kennen, um zu wissen, dass er sich dem Zeuge C. nicht anvertraut hat! C. war der einzige Strohhalm, der der Staatsanwaltschaft und der Kammer am Ende blieb. Denn ohne dessen Aussage sind die Fakten folgende:
– ein vermeintlicher Einzeltäter sitzt wegen abstrusen Gründen (Flucht- und Wiederholungsgefahr) ein Jahr in Untersuchungshaft,
– das Verfahren bringt keinerlei Beweise, die irgendeine Täterschaft belegen,
– das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns posaunt regelmäßig seine Strafvorstellungen in die Welt und
– die Presse und das OLG Rostock schauen zunehmend kritisch auf das Verfahren und erwarten 1,5 Jahre nach den Vorfällen und nach kostenintensiven 33 Verhandlungstagen schließlich auch eine Verurteilung. Da wurde C. der Staatsanwaltschaft und dem Gericht sprichwörtlich auf dem goldenen Tablett serviert; um es vorsichtig zu formulieren.
Wir sehen wichtige rechtsstaatliche Grundprinzipien zutiefst erschüttert und wollen euch kurz den weiteren Gang des Verfahrens erläutern, um zu skizzieren, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist:
Zunächst das Gute vorweg: der Angeklagte ist weiterhin auf freiem Fuß. Dies ist er deshalb, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Rechtskraft erlangt ein Urteil dann, wenn innerhalb einer Frist keine Rechtsmittel eingelegt werden. In diesem Fall wurde innerhalb einer Woche nach (mündlicher) Urteilsverkündung das Rechtsmittel der Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingelegt. Die Kammer des Landgerichts muss nun innerhalb der folgenden 9 Wochen das Urteil schriftlich niederlegen; also ausformulieren und den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung stellen. Ab dem Zeitpunkt hat die Verteidigung vier Wochen Zeit, ihre Revision beim zuständigen Senat in Karlsruhe zu begründen.
Aus unserer Sicht hat die Kammer eine Menge Gründe geliefert, die eine Revision begründen können. Da ist unter anderem die zweifelhafte Schöffenbesetzung, das Öffnen der Post zwischen den Anwälten und dem Angeklagten, die abgelehnten Beweisanträge und nicht zuletzt die allesamt abgelehnten Befangenheitsanträge gegen die Kammer.
Während einer Revision wird es nicht zu einer neuen Hauptverhandlung kommen und es wird auch höchst wahrscheinlich keine öffentliche Verhandlung in Karlsruhe geben. Vielmehr wird nun vom Senat des BGH geprüft, ob das Verfahren formell rechtmäßig stattfand und ob die Urteilsgründe das Urteil „tragen“. Sprich, ob das, was die Kammer in die Urteilsbegründung schreibt, den Schuldspruch auch tatsächlich zulässt. Sollte der BGH zu dem Schluss kommen, dass beispielsweise die Schöffenbesetzung rechtswidrig war oder dass die Kammer tatsächlich befangen war oder dass ein anderer Revisionsgrund greift, wird es in Rostock eine erneute Hauptverhandlung geben wird. Das Verfahren würde also von vorne beginnen. Ausgeschlossen ist dann jedoch, dass wieder die Kammer des Herrn Goebels dieses Verfahren führt.
Da der Angeklagte nicht in Haft ist, kann es nun mehrere Monate dauern, bis es in dieser Sache Neuigkeiten zu vermelden gibt. Wir halten euch auf dem Laufenden.
Hanseatische Grüße
Blau-Weiß-Rote Hilfe Rostock